"The Politics of Inequality" im Überblick
Wer wir sind
„The Politics of Inequality: Perceptions, Participation and Policies“ – so nennen wir unseren Exzellenzcluster im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern. Der Exzellenzcluster ist ein gemeinsames Projekt von Forschenden aus der Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie, Linguistik, Psychologie und der empirischen Bildungsforschung.
Wir erforschen den Kreislauf aus Wahrnehmung ungleich verteilter Ressourcen, politischer Mobilisierung infolge wahrgenommener Ungleichheiten, politischer Maßnahmen zum Umgang mit ihnen, und deren Rückwirkung auf die Verteilung von Ressourcen. Außer für die Ungleichheit von ökonomischen Ressourcen (Wohlstand) interessieren wir uns für Fragen des Zugangs zu Informationen, Bildungs- und Spracheffekte sowie für die Effekte von Gruppenzugehörigkeit und damit verbundenen Rechten und Privilegien.
Ungleichheitsforschung ist in den Sozialwissenschaften ein etabliertes Feld; die bisherige Forschung aber hat die politischen Ursachen ebenso wie die Konsequenzen von Ungleichheit vernachlässigt.
Wir verwenden ein breites Methodenspektrum – von quantitativer Erhebung in Umfrageform bis qualitativer Einzelfallanalyse, von Laborexperiment bis ökonometrischer Aggregatdatenanalyse, von computational linguistics bis Wortfeldanalyse – und setzen uns für einen fruchtbaren, direkten und persönlichen Austausch zum Brückenschlag zwischen den Disziplinen ein. Neben der Forschung setzen wir uns auch für weitergehende Missionen ein: Nachwuchsförderung, Gleichstellung, Wissenstransfer.

Was wir wissen wollen
Unser Ansatz lässt sich in einem einfachen Modell zusammenfassen: Strukturelle Ungleichheiten werden wahrgenommen; Wahrnehmung führt zu Partizipation; Partizipation führt zu Policies; und die Policies wiederum wirken auf strukturelle Ungleichheiten. Aus Wahrnehmung, Partizipation und Policies entsteht ein simpler Kreislauf, in dem Ungleichheit in jedem Segment wirkt. Dies sind die drei Forschungsbereiche, in denen wir am Cluster aktiv werden.
Unsere Forschung verteilt sich auf drei zusammenhängende Forschungsbereiche, die jeweils ihre eigene Forschungsleitfrage hervorbringen:
Forschungsbereich 1 – Wahrnehmungen
Ungleiche Verteilung von Einkommen und Wohlstand, ungleicher Zugang zu Informationen und Bildungsangeboten, Ungleichbehandlung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit – das sind die Felder, in denen wir die politische Dimension von Ungleichheit untersuchen. Aber nicht jeder Einkommensunterschied wird als unfair wahrgenommen. Der Ausschluss mancher Gruppen von bestimmten Privilegien kann (sogar den Betroffenen selbst) als gut und richtig erscheinen.
Die politische Dimension von Ungleichheit beruht erst einmal also auf der Wahrnehmung von Ungleichheit. Nur wo die Verhältnisse als ungleich im Sinne von unfair, ungerechtfertigt, unerwünscht, unerträglich wahrgenommen werden, können Impulse entstehen, die herrschenden Verhältnisse zu ändern. Am Anfang unseres Forschungsprogramms steht daher die Frage:
Warum nehmen Menschen die Verteilung von Ressourcen in manchen Fällen als unfair wahr, in anderen aber nicht – und inwieweit beeinflusst diese Wahrnehmung ihre politischen Präferenzen?
Auf dieser Forschungsfrage beruht unser erster Forschungsbereich: Die Analyse von Wahrnehmungen und politischen Präferenzen von Ungleichheit. Angesichts einer herrschenden Ressourcenverteilung schätzen Individuen ihre eigene Position relativ zur Gesamtlage ein: Bin ich arm oder reich? Ungebildet oder gebildet? Privilegiert oder unterdrückt?
Es ist zu erwarten, dass derartige Selbsteinschätzungen mitunter deutlich von der tatsächlichen Verteilung abweichen, denn sie werden vom politischen Diskurs und dem Framing politischer Akteure beeinflusst. Die Selbsteinschätzungen sind aber überall dort politisch relevant, wo sie auf individuelle Präferenzen für bestimmte Policies einwirken. Wo sozioökonomische Faktoren auf politische Präferenzen durchschlagen, geschieht es auf dem Wege der Wahrnehmung der eigenen Situation. Daher wollen wir in diesem Forschungsbereich besonders untersuchen, wie sich Framing und gefilterte Information auf die individuelle Wahrnehmung der Situation auswirken, und welche Rolle sie für die Bildung politischer Präferenzen spielen.
Forschungsbereich 2 – Partizipation
Auch dann, wenn die ungleiche Verteilung von Wohlstand Privilegien als unfair und falsch wahrgenommen wird, gibt es nicht immer Bestrebungen, daran etwas zu ändern. Manchmal bleibt es bei einem unterschwellig empfundenen Problem, nicht selten flauen Proteste rasch wieder ab oder scheitern an dem Versuch, politisch Gehör zu finden. Die bloße Wahrnehmung, auch wenn sie den Wunsch generiert, etwas an den Dingen zu ändern, reicht nicht aus, um etwas zu bewirken. Dazu bedarf es politischer Partizipation: Individuen mit einer Meinung müssen zu Akteuren werden. Politische Partizipation geht den Schritt von einem Wunsch zur Handlung, um ihn zu verwirklichen. Hier setzt unsere zweite Forschungsfrage an:
Was sind die Bedingungen dafür, dass Forderungen zu politischer Aktion und Partizipation führen – auf der Ebene des Individuums, der Gruppe, der Organisation?
In diesem zweiten Forschungsbereich untersuchen wir Partizipation und Mobilisierung sowie ihre Erfolgsbedingungen. Individuelle Ressourcen und Spielräume sind dafür entscheidend und hängen zum großen Teil von Rahmenbedingungen ab. In nichtdemokratischen Staaten sind Partizipationsmöglichkeiten zum Beispiel oft deutlich geringer als in Demokratien. Aber auch innerhalb von Demokratien gibt es deutliche Unterschiede darin, wie politische Institutionen auf die Aggregation der Präferenzen von Individuen einwirken. In diesem Forschungsbereich erforschen wir, wie ungleiche politische Teilhabe und Mobilisierung von ungleich verteilten Ressourcen und Spielräumen abhängen.
Forschungsbereich 3 – Policies
Vereinfachte Demokratiemodelle gehen meist davon aus, dass der Wettbewerb politischer Interessen reponsiv, also nach einem mehr oder weniger einfachen Ursache-Wirkung-Prinzip, Policies hervorbringt. Wir dagegen erwarten, dass Akteure, die Policies gestalten, eher selektiv auf die Wünsche ihrer Bürger eingehen. Das ist in nichtdemokratischen Gesellschaften besonders offensichtlich der Fall, doch auch in Demokratien gibt es subtile, aber große Unterschiede in der Responsivität. Zum Beispiel könnten die Gesetzgeber eher auf die Forderungen von Lobbygruppen oder von reichen Bürgern eingehen als auf die der breiten Bevölkerung. Unterschiede in der Responsivität beeinflussen also die Art und Weise, wie Politik vorherrschende Ungleichheit angeht. Hier setzt unsere Forschungsfrage an:
Wie reagieren die Akteure, die Policies gestalten, auf unterschiedliche Forderungen – und wie wirken diese Policies auf Wahrnehmungen, Präferenzen, Partizipation und die zugrundeliegenden strukturellen Ungleichheiten?
Wir erforschen im dritten Forschungsbereich, wie ungleiche Policy-Gestaltung in verschiedenen institutionellen Kontexten aussieht und wo ihre Ursachen liegen. Wenn Policies unterschiedlich responsiv auf existierende Ungleichheit reagieren, diese Responsivität aber zugleich von den existierenden Ungleichheiten abhängt, ergeben sich Feedback-Schleifen, durch die Ungleichheit in der Gesellschaft sogar noch wachsen kann. Im Forschungsbereich „Policies“ identifizieren und analysieren wir diese Feedback-Schleifen, die Policies mit struktureller Ungleichheit, mit deren Wahrnehmungen und politischer Partizipation verbinden.
Was uns wichtig ist
Neben der Forschung haben wir uns einigen Zielen verschrieben, die uns besonders am Herzen liegen. Forschung funktioniert am besten in einem Umfeld der „Pluralität in Eintracht“, wie man es nennen könnte: Soviele Perspektiven wie möglich, die jede und jeder so frei wie möglich einbringt, um gemeinsam Fragen zu stellen und gemeinsame Ideen zu verfolgen. Wir sind daher überzeugt, dass wir in der Forschung dann besonders erfolgreich sind, wenn wir die folgenden Themen zu unserer Mission machen:
1. Der wissenschaftliche Nachwuchs
Wir fördern Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdoktorandinnen und Postdoktoranden an unserem Cluster in Einzel- oder Gruppenprojekten, ermöglichen frühe wissenschaftliche Selbständigkeit und ermöglichen durch forschendes Lernen eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung.
Ausbildung
Die Graduate School of Decision Sciences (GSDS) stellt bereits heute eine fundierte Ausbildung für Doktorandinnen und Doktoranden in der Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, den Wirtschaftswissenschaften, Statistik und Informatik bereit. Unser Cluster wird im Rahmen der GSDS ein erweitertes interdisziplinäres Kursprogramm aufbauen, an dem all unsere Doktorandinnen und Doktoranden teilnehmen werden. Mittelfristig wird der Cluster eine Graduate School for the Social and Behavioural Sciences (GSBS) an der Universität Konstanz aufbauen.
Förderung
Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdoktorandinnen und Postdoktoranden haben in unserem Cluster die Wahl: Sie können in eines unserer Forschungsprojekte einsteigen und in kleinen Teams eine Forschungsfrage bearbeiten, oder sie können sich für ein Stipendium als unabhängige Nachwuchsforschende bewerben. Außerdem können sie zusätzliche Mittel für Feldstudien, Reisen, Konferenzen, Fortbildungen und die Einladung von Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern beantragen.
Für fortgeschrittenere Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler ist die Schaffung von zwei Juniorprofessuren (mit Tenure Track) vorgesehen.
2. Chancengleichheit und Diversity
Wir glauben, dass eine diverse und offene Arbeitsumgebung für unsere Forschung ebenso wichtig sind wie für unsere Kultur des Miteinander und Füreinander. Work-Life-Balance und Diversity sind für uns deshalb zentrale Stichworte. Unsere Ziele in Hinblick auf Chancengleichheit und Diversity fassen wir in unserer Diversity Policy zusammen.
Arbeits- und Familienleben
Wer forscht und dabei Familienleben und Karriere im Gleichgewicht halten will, benötigt viel Unterstützung. Wir halten reservierte Plätze im Kinderhaus auf dem Campus der Universität vor, wo Kinder im Alter bis zu sechs Jahren hervorragend betreut werden. Für Reisen und Feldforschung, die sich aus der Arbeit ergeben, erhalten unsere Forschungsreisenden zusätzliche Reisemittel für Kinder und Betreuungskräfte. Für die Arbeit vor Ort können ebenfalls zusätzliche Mittel zur Einstellung von Hilfskräften beantragt werden. Wir sorgen für flexible Arbeitszeiten und bemühen uns, wichtige Termine in familienfreundliche Kernzeiten zu legen.
Unterstützung von Forscherinnen
Frauen erhalten aus den Einrichtungen und Programmen der Universität weitreichende Unterstützung, insbesondere im Bereich von Mentoring und Weiterbildung. Zu diesen Maßnahmen gehört das „Mentoring with Experts and international Networking (MeiN)“-Programm, außerdem das Konstanzia-Stipendium, mit dem weibliche Nachwuchswissenschaftler auf dem Weg zur Professur gefördert werden, dazu Mentoring-Programme mit eingeladenen externen Mentoren. Diese Programme stehen auch Personen offen, deren Identität von traditionellen Gender-Normen abweicht (z.B. Transgender, Transsexuelle, Intersexuelle).
"Scholars at Risk"
Wissenschaftsfreiheit ist nach deutschem Recht ein unveräußerliches Recht und wird als solches explizit im Grundgesetz genannt (Art. 5 GG). In manchen Ländern ist diese Freiheit aber stark eingeschränkt. In Kooperation mit dem „Scholars at Risk“-Netzwerk laden wir Forscherinnen und Forscher aus solchen Ländern, in denen ihre Wissenschaftsfreiheit beschränkt oder bedroht ist, zu einem Aufenthalt an der Universität Konstanz ein. Wir bieten gefährdeten Forschenden jährliche Fellowships an, mit deren Hilfe sie Forschungsfragen und -themen des Clusters bearbeiten können.
3. Wissenstransfer und Kommunikation
An einer der kommunikationsstärksten Universitäten in Deutschland bearbeitet unser Cluster Fragestellungen von zentralem Interesse für unsere gesamte Gesellschaft – da ist weit ausstrahlende, informative und zugängliche Kommunikation Pflicht!
Wissenstransfer und Kommunikation
Wissenschaft hat die Verantwortung, sich mitzuteilen. Wir als Forschende im sozial- und politikwissenschaftlichen Bereich haben außerdem die Verantwortung, unsere Erkenntnisse auch außerhalb wissenschaftlicher Publikationstätigkeit politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft als Ganzer zur Verfügung zu stellen.
Dafür fassen wir unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen als allgemeinverständliches Abstract zusammen, das wir online veröffentlichen. Neben wissenschaftlichen werden wir auch eine Reihe von „Policy Papers“ veröffentlichen, die in zugänglicher, nicht-technischer Sprache unsere Forschungsergebnisse zusammenfassen. Besonders gut eignet sich für unsere Zwecke das Blog-Format, das wir bereits in Kürze ausgiebig nutzen werden, um Einblick in unsere Themen und Ergebnisse wie auch das weitere Feld der Ungleichheitsforschung zu geben.
Außer in Schriften werden wir unsere Forschungen und Ideen auch in zahlreichen öffentlichen und halböffentlichen Veranstaltungen vermitteln, insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Konstanzer Wissenschaftsforum.
Ein „Science Writer“ wird unseren Arbeitsgruppen bei der Forschung über die Schulter schauen und ihren Arbeitsprozess begleiten; so machen wir den Forschungsprozess transparent. Diese Grundidee verwirklichen wir noch weitergehend in unserem „Journalist-in-Residence“-Programm: Ausgewählte Journalisten und Vertreter von Think-Tanks oder politisch aktiven Organisationen verfolgen bis zu einem halben Jahr vor Ort eigene Projekte, um uns noch enger mit den Medien und ihren eigenen Organisationen zu vernetzen.